Riga – eine bunte Stadt

Lettland, Roadtrip

Reisezeit: September 2017

In Riga haben wir wieder ein Apartment in der Innenstadt gebucht, so sind wir mitten im Trubel und unabhängig, eine gute Kombination. Wir schliefen in der Palasta, der Palaststraße und in unserem Haus hatte vor langer Zeit sogar mal ein russischer Zar – Peter I. – genächtigt. Es waren ganz schön viele interessante und sehr unterschiedliche Unterkünfte die wir bisher auf dem Roadtrip fanden. Und meistens waren sie ungeplant. Dieses Apartment war als Loft hergerichtet: unten die Küche und ein großes Wohnzimmer, oben das Bad und zwei Schlafzimmer.

Riga ist größer als Tallinn. Und Riga ist viel moderner. Ein von Stadtmauern umgebenes Stadtzentrum gibt es nicht, nur einen kläglichen Rest der Stadtmauer in einem Park und ein Stadttor – das Schwedentor. Dafür kann Riga mit vielem Anderen punkten.

Gleich am ersten Tag besuchten wir den Markt, einen der größten in Europa. Er besteht aus vier großen Hallen, die früher Zeppelin-Hangars waren (allein für dieses Geschichte muss man sie gesehen haben). In der einen gibt es Gewürze, Gemüse und Milchprodukte. Den Topfen und die Butter kann man offen kaufen, genau die Menge, die man möchte. Ein Konzept, das mir in unserem durchoptimierten Land mit Hygienewahn manchmal fehlt. In einer anderen Hallen wird Fisch und in einer Fleisch, vorwiegend vom Schwein, verkauft. Die vierte wird gerade renoviert. Und wie so oft auf Märkten bekommt man alles: vom Schwein werden nicht nur das Filet und die Schnitzel verkauft, nein auch Sauköpfe, Schweinsfüße und Schweineschwänze bekommt man. Daneben liegen allerlei Innereien, Kuhzungen und dann wieder große Fleischstücke. Ich schätze das. Für mich ist es ein Zeichen von Respekt dem Leben gegenüber, wenn versucht wird alles zu verwerten. 

Riga
Ziemupe

Ein idyllischer Camping mitten im Nationalpark für alle die basic lieben

Schloß Rundale
Militärgefängnis in Karosta

Vor dem Markt stehen auch Standln, an denen Obst und Gemüse verkauft wird, weiter hinten Gewand und Nützliches. Es herrscht ein reges Treiben und allerlei Gerüche stürmen auf die Nase ein. Vor uns reihen sich die Frauen auf, die Pilze und Beeren verkaufen, vor allem Heidelbeeren und das sehr günstig. Leider habe ich keine Verwendung für die Beeren, die sie mir billig und duftend anbieten. So riecht unser Obst beim Billa längst nicht mehr. Ich bin mir recht sicher, dass die Heidelbeeren hier auch noch dunkles Fruchtfleisch und viel Geschmack haben.

Wie mir die Gebrauchsanweisung verraten hat, gibt es in Riga hinter dem Markt noch einen Nachtmarkt. Dort kaufen die Verkäufer vom Tagesmarkt ein, aber auch Menschen die sich nicht mal die Preise am Tagesmarkt leisten können. Gesehen haben wir den Nachtmarkt nicht. Auch jetzt, am Ende Reise, vergeht uns die Zeit an manchen Tagen einfach zu schnell.

Beim Marktbesuch habe ich mir ein paar Kleinigkeiten zu kosten gekauft: eine Fleischtasche, ein Knäckebrot und als Dessert eine Rhabarbertasche und einen Zimtkringel. Gegessen habe ich es im Sonnenschein auf einer Bank mitten am Marktplatz, hat gut geschmeckt. Nebenbei habe ich das bunte Treiben auf mich wirken lassen.

Nahe beim Markt stehen noch sechs alte Speicherhäuser aus Backstein. Ein Überbleibsel aus früheren Glanzzeiten. Lagen früher Hanse-Schiffe vor der Bucht, sind es heutzutage die Kreuzfahrtschiffe.

Nach dem Markt haben wir die Stadterkundung im bewährten Format fortgesetzt: im Hop-on-Hop-off Bus. Wir machten wieder zwei Touren: einmal eher in der Stadtmitte und einmal in die Vororte. In einem Viertel stehen viele Gebäude mit prachtvollen Fassaden, wie sie auch an die Wiener Ringstrasse passen würden. Riga kann mit einem Viertel mit vielen Jugendstilhäusern punkten, eins davon sogar mit Medusenkopf an der Fassade. Oder die Stadt überrascht mit Gebäuden wie dem Katzenhaus. Das ist ein Kaufmannshaus mit zwei buckligen Katzen auf den Dachgiebeln. Schön, aber umso interessanter, wenn man die Geschichte dazu kennt: In dem Haus wohnte ein Kaufmann der von der Großen Gilde (= Kaufmannsverbund) abgewiesen wurde. Aus Frust baute er das Haus und ließ die Hintern der Katzen genau aufs Rathaus und die Gilde schauen. Da die hohen Herren sehr empört waren, setzten sie es per Gericht durch, dass die Katzenschwänze in eine andere Richtung zeigen. Diese Katzen sind kein offizielles Symbol der Stadt, aber bei den Souvenirs findet man sie wohin man blickt. Für solche ironischen Augenblicke liebe ich das Reisen.

Riga ist ein Schmelztiegel, wohl auch weil es lange ein Spielball in der Weltgeschichte war. Die Bauwerke der Stadt zeigen das wunderbar. Es gibt ein kleines Judenviertel mit einer noch erhaltenen Synagoge. Diese wurde in den Kriegen nicht zerstört, weil sie zu sehr im Zentrum stand und eine Zerstörung weiteren Schaden nach sich gezogen hätte. Wir mussten etwas suchen, um sie zu finden und zu besuchen. Die zweite, alte Synagoge wurde niedergebrannt, von ihr sieht man nur mehr die Grundmauern. Hinter dem Markt steht ein Wunderbau aus der russischen Zeit: die Akademie der Wissenschaften, eine stalinistische Torte. Unser Kopfhörer im Bus sagte es handle sich um den Baustil der „stalinistischen Romantik“. Ich bin mir nicht sicher, ob der Ausdruck korrekt ist. Es ist eines der wenigen Male, dass Stalin mit Romantik verbunden wird. Mitten in der Stadt steht eine große, innen und außen prachtvolle orthodoxe Kirche. Dazwischen immer wieder alte (Holz)häuser und zum Teil Gebäude, von denen eigentlich nur mehr die Fassade steht. Bei einigen Wohnhäusern entdeckten wir, dass die Fenster gekonnt aufgemalt wurden – nicht alle, nur ein paar. „Die drei Brüder“ genannten Bauten, welche nebeneinander stehen, sind jeweils in einem anderen Stil erbaut.

An wichtigeren Bauten in der Innenstadt sind Schilder mit den Erklärungen angebracht. Was mir gefiel, war der Sprachenmix darauf: die erste Sprache war immer lettisch, danach folgte die Sprache der Nation, die die Info am meisten betrifft. Wenn es sich also um das Schild zum Aufenthalt von Peter I. in unserem Haus handelte, dann war die zweite Schrift russisch. Bei der Synagoge war die zweite Sprache hebräisch und bei den Infos zur deutschen Hansezeit war die zweite Sprache deutsch. Welch kleine Gesten oft Respekt zeigen.

Nachdem wir auf der Stadttour einen Überblick bekommen haben, erkundeten wir die Stadt am zweiten Tag von anderen Blickwinkeln aus. Zuerst bestiegen wir den Turm der Johanniskirche um einen Panoramablick auf die Stadt zu haben. Auf die Skyline mit den vielen Kirchtürmen, auf die Akademie der Wissenschaften und auf die futuristische neue Bücherei. Zur Bücherei gibt es noch eine Geschichte zu erzählen: Als das Baltikum um die Unabhängigkeit kämpfte gab es ein ergreifendes und beeindruckendes Ereignis, das leider im „Westen“ kaum gesehen wurde: fast eine Million der Bewohner des Baltikums versammelten sich, um eine Menschenkette von Tallinn bis Vilnius zu bilden und damit ihren Widerstand gegen das Regime zu zeigen! Was das mit der Bücherei zu tun hat? Um die Bücher von der alten in die neue Bücherei zu bringen, bildeten die Rigaer wieder eine Menschenkette und jedes Buch wanderte über hunderte Hände zu seinem neuen Bestimmungsort.

Am Nachmittag machten wir eine Tour mit einem kleinen Boot (ca. 8 Passagiere) durch den Kanal von Riga. Es war für mich der idyllischste Moment in Riga. Sanft und leise, dank dem E-Motor, glitten wir an all den Sehenswürdigkeiten vorbei. Kommentare zu den Bauwerken könnte man über eine Handy-App hören. Dort im Park bei der Anlegestelle der Boote findet sich auch ein Teehaus, das einen Besuch wert ist. Ein kleiner Pavillion mit einem Stock, viele bodenhohe Glasfenster rundherum und Liegen die zum Verweilen einladen. Es gibt eine große Auswahl an offenen Tees, die perfekt aufgegossen serviert werden. Ein Wohlfühlort – mit dem wohl sonderbarsten Cache, den wir bisher gefunden haben.

Riga ist eine pulsierende Stadt, die einlädt sie zu entdeckten. Die vielen Plätze, das Leben auf der Straße, überall spielt irgendwer ein Musikinstrument, all die netten Lokale mit ihren Terrassen, das bunte Gemenge der Nationalitäten.

Das Baltikum ist in Bewegung, Altes verbindet sich immer wieder mit neuen Einflüssen und das meist recht erfolgreich. Gut zu sehen ist das auch beim Internet. Zum Beispiel in Estland (in den anderen Ländern ist der Trend derselbe, aber die Entwicklung noch nicht so weit). In Estland ist der Zugang zum Internet ein in der Verfassung niedergeschriebenes Recht jedes Einzelnen. Schulkinder bekommen die Geräte vom Staat und bereits in der Volksschule gibt es Programmierkurse. Eine Stimme für die Wahl – auch für die Parlamentswahl und die Wahl des Regierungschefs – kann problemlos online abgegeben werden. Und wohin führte diese Offenheit bisher? Unter anderem wurde Skype in Estland entwickelt, ein Programm das weltweit genutzt wird. (Die Erfinder haben es nach Amerika verkauft und sind Millionäre geworden.)

Das Baltikum ist eine Region mit langer und wechselhafter Geschichte, die vor der Moderne nicht halt macht.

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