Am Abend setzten wir uns auf die Stufen des Rathauses am Hauptplatz, saugten die Atmosphäre auf und beobachteten die Menschen um uns herum. Anschließend spazierten wir lange durch das mittelalterliche Stadtzentrum. Tallinn ist eine Stadt, in die ich mich auf Anhieb verliebt habe. Die Altstadt ist klein und überschaubar, hat fast nur kleine Gassen und alles ist gepflastert. Rund um die Altstadt stehen noch Teile der alten Festungsmauer und deren Türme. Den wuchtigsten davon nennt man „Fette Margarethe“. Die Häuser sind eine bunte Mischung: alte, wunderschön erhaltenen Häuser aus der Hansezeit stehen neben moderneren Häusern. An jedem zweiten Eck sieht man Reste der alten Befestigung durchschauen. Hin und wieder stehen eher verfallene Häuser da. Wie wir später erfuhren, sind bei diesen oft die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt. Und solange man nicht weiß, wem das Haus nun gehört, macht niemand etwas daran. (Es gibt aber weniger Ruinen als in Lissabon.)
Die Hauptstadt Estlands besticht durch viel Geschichte. Die Altstadt ist eine wilde Stilmischung, deutlich aus dem Mittelalter und lädt ein zu langen Entdeckungstouren. Eine Stadt in die ich mich auf Anhieb verliebt habe. Ein langes Wochenende ist für den Besuch ausreichend.
In Angla wurden 8 alte Windmühlen erhalten und wieder hergestellt und sind zu besichtigen. Die Windmühlen waren früher weit verbreitet in Saaremaa, heute findet man sie selten.
Der Name Kaali erinnerte mich an die indische Göttin der Zerstörung. In Kaali liegt ein großer Meteoritenkrater - ich weiß nicht was zuerst da war, der Name oder der Krater.
Eine sehr schön renovierte Burganlage. Der Besuch zahlt sich aus, denn man sieht nicht nur die Innenräume, sondern kann sich auf mehreren Etagen auch über die Geschichte Estlands und vor allem die Zeit, in der Estland zur Sowietunion gehörte, informieren.
Pärnu ist ein früherer Kurort, der für Schlammbäder berühmt war. Die Stadt hat einen kleinen Sandstrand etwas außerhalb.
In Pärnu gefielen mir die unterschiedlichen Häuser und Fassaden sehr, eine gemütliche Kleinstadt.
An jeder Ecke (wirklich an jeder!) findet man Lokale, Souvenirshops und Bernstein-Läden.
Am Abend ist die schönste Zeit in der Stadt. Die Touristengruppen, die unter Tags das Stadtbild prägen sind verschwunden und man spürt mehr vom Flair Tallinns. (An manchen Tagen landen zehn und mehr große Kreuzfahrtschiffe im Hafen.) Was mir schon am ersten Abend in Tallinn gut tat, war, dass endlich wieder Infos auf englisch angeschrieben sind. Fast jedes Haus hat seine Geschichte und diese wird auf Infotafeln an der Hauswand erklärt. Ich fand es wunderbar, wieder mehr über den Ort, an dem ich bin, erfahren zu können.
Am zweiten Tag setzen wir unserer Erkundungen fort und wollten auch ein paar Geocaches machen. Wir entdeckten den Platz der Freiheit – auf dem zentral ein riesiges Kreuz thront. Und der Geocache – den wir leider nicht fanden – erzählte uns die Geschichte dazu: Früher gab es das Sprichwort „Stadtluft macht frei“. Das bedeutet, dass ein Leibeigener, wenn er ein Jahr und einen Tag in der Stadt lebte, kein Leibeigener mehr war sondern ab dann zur Stadt gehörte und frei war – also nur der Stadt verpflichtet. Ein früherer sehr reicher Kaufmann hat damals einen ehemaligen Leibeigenen, der schon „stadtfrei“ war, ermordet. Für den Kaufmann war es unvorstellbar, dass er dafür verurteilt würde, aber genauso kam es. Das ganze Geld nutzte ihm nichts, er wurde für schuldig befunden und die Todesstrafe verhängt. Am Weg zum Galgen wollten ihn Freunde befreien, doch das scheiterte und der Kaufmann wurde am Weg zum Galgen enthauptet. An dieser Stelle steht jetzt das Kreuz und erinnert daran, dass die Freiheit des Einzelnen das Wichtigste ist.
Vom Platz der Freiheit schlenderten wir weiter auf den Domberg. Dort stehen zwei Kirchen und daher kommt auch das gespaltenen Gefühl der Esten für den Berg. Zum einen steht die Newsky Kathedrale genau vis a vis vom Parlament. Dies ist eine russisch-orthodoxe Kirche, ein massiver Bau mit seinen Zwiebeltürmen und innen voll mit Ikonen und glanzvoll verzierten Bildern. Nicht weit davon entfernt steht der Dom, eine protestantische Kirche. Im Dom innen hängen viele alte Holzwappen – das habe ich in einer Kirche noch nie gesehen. Die Esten waren lange bekannt für ihre Holzschnitzereien. Wir bestiegen den Turm des Doms um gute Fotos von der Stadt zu machen. Obwohl der Dom die eigentliche Kirche der Esten ist, überstrahlt die Newsky den Dom bei Weitem. Für viele Esten ist die Kathedrale damit ein Symbol der Unterdrückung durch die Russen.
Ein kleiner Ausflug in die Geschichte Estlands
Estland ist erst seit dem 20. August 1991 unabhängig. (Wir sind am 20. August angekommen, haben aber nichts von irgendwelchen Feiern mitbekommen.) Seit 2004 ist das Land auch bei der EU. Davor hatte es aber eine wechselvolle Geschichte voller Revolutionen, denn der Weg in die Freiheit war lang und steinig. Um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, folgen ein paar Daten aus Wikipedia:
1252 – 1561 gehörte das Land dem Deutschen Ritterorden. Die Oberschicht waren deutsche Kaufleute der Hanse und die Hauptsprache war deutsch. 1710 wurde es im Großen Nordischen Krieg von Russland erobert, ab 1885 war die Hauptsprache Russisch. Während des Zerfalls des Russischen Reiches im Verlauf der Oktoberrevolution erlangte Estland am 24. Februar 1918 seine Unabhängigkeit.
In den Jahren 1939 bis 1940 wurden die Deutschbalten von den Nationalsozialisten aus Estland und Lettland unter dem Motto Heim ins Reich im Rahmen einer Umsiedlung ins Deutsche Reich geholt. Grund war die im Geheimabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt geschlossene Vereinbarung, das Baltikum der sowjetischen Interessensphäre zuzuschlagen.
Unter massivem Druck und Gewaltandrohung wurde Estland zusammen mit Lettland und Litauen 1940 von der Sowjetunion annektiert. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 war das Land bis 1944 von deutschen Truppen besetzt und wurde verwaltungstechnisch dem Generalkommissariat Ostland zugeordnet. Nach der erneuten Besetzung durch die Rote Armee im Herbst 1944 wurde das Land unter Wiederherstellung der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik von 1940/41 in die Sowjetunion eingegliedert. In der Zeit von 1945 bis 1990 wurde durch gezielte Ansiedlung nichtestnischer Einwohner, insbesondere von Russen, die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten wesentlich zu Ungunsten der einheimischen estnischen Bevölkerung verändert. Am 30. März 1990 erklärte Estland sich wieder zur Republik.
Am 18. Dezember 1990 verzichtete Estland auf eine weitere Mitarbeit im Obersten Sowjet der UdSSR. Bei einer Volksabstimmung am 3. März 1991 über den künftigen Status der Republik stimmten 78 % der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit. Der Vorsitzende des Obersten Rates der Republik Estland, Arnold Rüütel, erklärte, dass ein Referendum keine rechtlich bindende Wirkung habe. Nach dem Augustputsch in Moskau am 20. August 1991 erklärte der Oberste Rat die volle Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Am 23. August 1991 wurde der sowjetische Geheimdienst KGB verboten und am 25. August alle Organe der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU).
Estland stellte damit nach einem mehrjährigen Prozess der Loslösung von der Sowjetunion – im Zuge von Glasnost und Perestroika, insbesondere seit 1988 – seine Souveränität wieder her. Diese Entwicklung verlief überwiegend friedlich; sie wurde als „Singende Revolution“ bekannt. Estland wurde am 29. März 2004 NATO-Mitglied. Die estnische Bevölkerung befürwortete am 14. September 2003 in einem Referendum den Beitritt zur Europäischen Union. Am 1. Mai 2004 wurde daraufhin Estland in die EU aufgenommen.
Aus Wikipedia
Auf unserer Tour machten wir noch eine großartige Entdeckung: mitten in der Innenstadt befindet sich eine Depeche Mode Bar. Selbstverständlich besuchten wir diese am Abend und genossen die Cocktails, die tolle Musik und das Flippern. Weils so schön war, machten wir das am Abend darauf gleich nochmal. An alle Depeche Mode Fans – besucht Tallinn. 🙂 Aber auch allen anderen kann ich einen Besuch in der Stadt nur empfehlen (ein langes Wochenende genügt schon).
Am letzten Tag in Tallinn ließ ich mich wieder einmal auf eine Besichtigung der wenig erbaulichen Art ein. Mitten in Tallinn steht das ehemalige Hauptquartier des KGB, das zugleich ein Gefängnis war. Es wurde wiederhergestellt und als Museum eröffnet. Im KGB Haus (heute ein Hotel) gibt es im Keller fünf Zellen zu besichtigen. In jeder wird ein Aspekt der damaligen Zeit erörtert. So sieht man in einer Porträts der Widerstandskämpfer, in einer anderen erzählt ein KGB Mitarbeiter auf Tonband seine Geschichte. Diese Installation hatte es mir am meisten angetan, zeigte sie doch wie feig die Menschheit ist. Denn der KGB Mann der erzählte, putzte sich genauso ab wie die NS Mitläufer: er sei ja nicht der Böse, er mache ja nur seinen Job und befolge Befehle, er hat nichts zu tun mit den Morden. Diesen Besuch möchte ich daher mit einem Zitat von Hannah Arendt abschließen: „Niemand hat das Recht, sein Gehorchen als Vorwand für die Rechtfertigung seines Handelns zu benutzen. Gehorchen ist keine Rechtfertigung für Handeln.“
Ab Mittag eroberten wir sozusagen die Außenbezirke der Stadt – auf sehr gemütliche Art und Weise: im Hop-on-Hop-off Bus. Eine gute Entscheidung, denn es regnete immer wieder mal. Wir machten zwei der drei angebotenen Touren: jene ums Stadtzentrum herum und jene in den Osten der Stadt. Was mir sofort auffiel war, dass außerhalb der historischen Innenstadt leider die Hoteltürme das Stadtbild prägen. Zum Glück sind die Esten noch so umsichtig, dass sie es nicht zulassen, dass so eine Hotelburg in der Innenstadt gebaut wird. Im Osten der Stadt gibt es sehr viel Wald (ca. 30% der Stadt sind Grünfläche). Überall in den Außenbezirken stehen Häuser. Kleine Gartenhäuser genauso wie prachtvolle Villen. Den Esten war ihr Gartenhäuschen sehr wichtig, unter anderem weil es ein Rückzugort vor der (russischen) Überwachung war. Außerdem sahen wir den ersten Waldfriedhof in Tallinn (später auf der Reise durch Estland kamen wir noch an weiteren vorbei). Der Waldfriedhof liegt mitten im Erholungsgebiet und wirkt sehr sympathisch. Nichts ist in streng geordneten Linien angelegt, die Grabsteine sind kleiner, die Natur steht im Vordergrund.
Der Rest der Bustouren führte uns an einigen Denkmäler vorbei in die verschiedensten Außenbezirke. Einige davon mausern sich zu einem Kulturviertel, in anderen wird der Wohnbau vorangetrieben. Aber das Spannendste von Tallinn liegt alles innerhalb der Stadtmauern.
Am Abend desselben Tages besuchten wir auch noch die Nikolai-Kirche bei uns ums Ecke (sie war am Montag, wie viele Museen, geschlossen). Die Kirche ist keine Kirche mehr, sondern eine Außenstelle vom Tallinn Museum. Das wird schon beim Reingehen deutlich. Zuerst betritt man die Kirche durch einen Seiteneingang, danach geht’s gleich in den Keller, wo der Ticketverkauf und Souvenirshop ist und dann erst geht man wieder hinauf in die frühere Kirche. Und warum ist das ganze nun ein Museum? Dort hängt eine Variante des „Totentanz“ – einem Gemälde von Bernt Notke. Darauf zu sehen sind ein Bischof, ein König und mehrere reiche Bürger, zwischen den Personen jeweils ein Sensenmann der nach dem Nachbar greift. Mir gefällt die Aussage des Bildes, dass alle Menschen gleich sind – zumindest im Augenblick des Todes. Irgendwie ein Vorgriff auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, denn dort heißt es im ersten Artikel: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“
In Tallinn waren wir auch täglich in Restaurants essen – nach Skandinavien tut es echt gut wieder normale bzw. billigere Preise zu haben. Auch in Estland gibt es Burger, jedoch auch viele lokale Gerichte. Die Esten kochen fleischlastig und gut. Es gibt im Baltikum auch keine Alkoholshops mehr – Alkohol ist wieder überall, zu jeder Zeit und zu normalen Preisen verfügbar. In der Innenstadt gibt es unzählige Lokale und die meisten sind mit viel Stil und Liebe zum Detail eingerichtet. Hervorheben möchte ich das Hortus, ein Mittelalter-Lokal in der Nähe des Hauptplatzes in einem alten Hanse-Haus, das sehr stimmig ist und auch das berühmte Honig-Bier verkauft.
Wie gesagt ein langes Wochenende in Tallinn kann ich wärmstens empfehlen. Bin gespannt auf Riga und Vilnius, da diese Städte eine ähnliche Geschichte und einen ähnlichen Aufbau haben.
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Hallo Nici,
hab‘ gerade mit Begeisterung Deine Berichte über Südfinnland und Estland gelesen und die großartigen Fotos angeschaut. Tallin hat uns auch besonders gut gefallen.
Freue mich schon auf die nächsten Berichte und wünsche Euch noch eine schöne Zeit im Baltikum.
LG M